Dienstag, 6. August 2013

Silicon Valley ist nicht Damaskus, Springer nicht der Medienheiland

Hach ja, der digitale Vorreiterkonzern Axel Springer, der, nachdem er prägender Teil der Nachkriegs-Printmedienlandschaft war, nun die Zeichen der Zeit erkannt hat und volldigitalisiert. Samt Reise nach Silicon Valley als Damaskuserlebnis. Was für eine schöne Story.

Quelle: Screenshot aus The Story of Axel Springers Famous Garage.

Bild-Chefredakteur Kai Diekmann pilgert als "geölter Berlin-Journalist" ins gelobte Silicon Valley und kommt als bärtiger Digital-Hipster zurück, der mit entschlossen zurückgeworfener Hoodie-Kappe Bild screaming and kicking in die digitale Medienzukunft zerren will, samt online verdientem Geld und 24-Stunden-Redaktion. Und Springer-Außenminister Christoph Keese, der vor seinem Kalifornien-Trip mit aller Kraft für ein Leistungsschutzrecht und gegen Google antrat, kehrt zurück und macht aus seinem Blog quasi als erste Amtshandlung einen Aggregator.

Silicon Valley als Ort der Erweckung und Umkehr (oder wahlweise Umschlagplatz für ganz harte Drogen mit seltsamen Nebenwirkungen), das wäre eine schöne Story.

Sie hat bloß leider einen Haken: Sie ist nicht wahr.

 Oder ungefähr so wahr wie Axel Springers Garage.




Denn die Bild war vorher schon genauso die trafficstärkste Medien-Site in Deutschland, der vormalige Verlag Springer schon lange auf dem Weg zum digitalen Konzern, der auch im Verlagsgeschäft tätig ist. Und Keese meint mit Aggregator im ersten Schritt, dass er dpa-Inhalte mit aufnimmt, zudem natürlich mit sauber geklärten Rechten (überhaupt gibt es diesen Blog wie seinen Twitter-Account schon lange.)

Das ist kein plötzlicher Wandel. Auch wenn der Funke-Deal ein Paukenschlag war und Diekmann nach seiner Rückkehr von einer anstehenden Revolution sprach.

Denn ganz ehrlich: Um auf die Idee zu kommen, Redaktionen zusammenzulegen und Redakteure ihre Geschichte unabhängig vom Endkanal betreuen zu lassen, muss man nicht nach Silicon Valley reisen.

Das sind nicht wirklich brachial neue Konzepte, auf die noch keiner gekommen ist. (Das soll nicht bedeuten, dass sie falsch wären, aber es stellt keine spektakulär neue Erkenntnis dar, genausowenig wie die Tatsache, dass sich die Mediennutzung ändert und Mobile ein zunehmend wichtigerer Kanal ist.)

Das Storytelling hier ist interesant, in der Art, wie es Springer betreibt, und in der Art, wie die anderen Medien den Ball aufnehmen.

Die alte Hassliebe Axel Springer


Denn dass sich Springer auch mit Recht als Vorreiter bei der Digitalisierung bezeichnen kann, liegt daran, dass die anderen Verlagshäuser weitaus zurückhaltender agieren. (Und ja, sich auch nicht so gut inszenieren und verkaufen.)
Generell haben die meisten anderen Medienhäuser eine komplexe, gern schwierige Beziehung zu Springer. Das hat sich auch wunderschön in den teils hochpolitischen Reaktionen anderer Medien auf den Springer-Funke-Deal gezeigt, bei dem Springer sich von so ziemlich allen anderen Printmedien außer Bild und Welt getrennt hat. Die Regionalzeitungen, Programm- und Frauenzeitschriften gehen an die Funke Mediengruppe.

Deren größte Innovation in den letzten Monaten als Reaktion auf den Medienumbruch war übrigens, sich von WAZ wieder in Funke umzubenennen und abwechselnd in Redaktion, Sales und anderen Abteilungen Personal zu entlassen.

Das Drama am Springer-Funke-Deal ist weniger, dass Springer nicht mehr an Print glaubt. Das Drama ist, dass Medienmarken, die durchaus saubere Renditen fahren, bei einem Konzern landen, der das Thema multimediale Aufstellung so gar nicht auf die Reihe kriegt. Viel mehr Go-West-Mentalität als das Hub-Portal DerWesten haben die Essener leider nicht im Angebot.

Fokus und Furor richteten sich dagegen strikt auf Springer. Das liegt an mehreren Ursachen. Zum einen pflegen Medien gerade zu Springer eine komplexe Beziehung, die durchaus etwas von Hassliebe hat. Da kommt zum einen - bei Springers Weg jenseits des Verlagsgeschäfts - der geliebte Feind abhanden. Und diejenigen, die Springer als Vorreiter für die Zukunft des Verlagsgeschäfts sahen, müssen zusehen, wie Springer elegant an der nächsten Hürde große Teile des Printgeschäfts abstreift.

Das nehmen diejenigen, die Springer doch so irgendwie als Vorreiter sahen, den man dann nachahmen könnte, dem Konzern jetzt irgendwie übel. "Die Zukunft von Print- und Textjournalismus heißt abstoßen" wirkt, wie es es so schön heißt, als Diskussionsbeitrag wenig hilfreich.

Es ist aber nicht Springers Aufgabe, die Zukunft einer Branche zu finden. Nur die eigene. Und als AG blickt man eben auf die Zahlenoptimierung.

Es gibt mehr als eine Karte, und nicht alle sind aus Papier.

Das bedeutet aber nicht, dass der Rest ihnen folgen muss. Natürlich stellt "ich verkaufe das alles, so lange ich einen guten Preis dafür kriege" eine legitime Option dar. Aber nicht die einzige.

Und wer nun aus Wut, Enttäuschung und ja, Angst, darüber, dass Springer vermeintlich die Zukunft des Printjournalismus (- "keine" - ) vorwegnimmt, zum historisch verklärten Wehklagen greift, der überzieht an beiden Enden. Ich meine, ernsthaft jetzt, wer hat denn vor dem Verkauf an Funke Hörzu, Bild der Frau und Morgenpost als Markenkern Axel Springers und heiligen Gral des Qualitätsjournalismus aufgeführt?

Verlagshäuser müssen sich kein Beispiel daran nehmen, dass Springer hier großflächig aussteigt. Sie orientieren sich auch nicht konkret an dem, was die Bildzeitung macht. (An Abendblatt oder Morgenpost erst recht nicht.) Woran sie sich orientieren sollten, ist die Bereitschaft, Dinge auszuprobieren, Tradiertes zu hinterfragen. Springer hatte faktisch nicht wirklich viele bahnbrechende neue Ideen zur Digitalisierung des Journalismus - die Welt-Paywall orientiert sich an der New York Times, das Bild-Paymodell an der Sun - aber den Mut, Dinge zu versuchen.

Und das ist eine ganz wesentliche Voraussetzung. Transformationsprozesse tun weh. Das ist so. Man muss aber nicht das Bild bemühen, dass mit Springer nun die Ratten das sinkende Schiff verlassen und Textjournalismus der Fliegende Holländer ist. Es gibt sehr wohl eine Zukunft für Journalismus, die auch Text/Print enthält.

Man kann für diese auch von der Online-Branche lernen. Jüngstes Beispiel ist Amazon-Gründer Jeff Bezos, auch wenn der in Seattle sitzt, nicht Silicon Valley. Der hat gerade die Washington Post gekauft, nicht aus Mildtätigkeit, sondern weil er an die Rolle von Medienmarken glaubt. Und in seiner Mitteilung an die Angestellten heißt es:

"There is no map, and charting a path ahead will not be easy. We will need to invent, which means we will need to experiment. Our touchstone will be readers, understanding what they care about (...) and working backwards from there. I’m excited and optimistic about the opportunity for invention."

Bezos glaubt an Medienmarken und Journalismus. An Papier als Trägermedium perspektivisch nicht, das hat er im Interview letzten Herbst mit der Berliner Zeitung auch gesagt. Der erste Teil ist aber entscheidender. Print ist historisch gewachsen, ist gewichtiger Teil unserer Distributions- und Geschäftsmodelle und hat auch signifikante Rückkopplungen auf die Arbeitsprozesse. Aber wir verkaufen kein Papier.

Wir werden noch eine lange Zeit auch drucken. Letztendlich ist es aber - wenn sich funktionierende Geschäftsmodelle finden, und der Weg dahin sieht gut aus - nicht entscheidend, ob der Artikel auf einem Stück Papier oder einem Display erscheint. Es ist nicht so, dass Zeitungsmarken keine Zukunft hätten. Es wird sich nur immer weniger um eine handeln, in der Papier den Schwerpunkt darstellt.

Auch für diese Einsicht sollte man nicht gen USA blicken  müssen. Verlage müssen nicht nach Springers Roadmap fahren. Die Notwendigkeit der Reise annehmen und sich entschlossen in Bewegung setzen, das schon. Aber niemand zwingt sie, Springers Abfahrt zu nehmen. Auch die Ideen, die in der vom Spiegel angestoßenen Debatte geschildert werden, sind nicht neu. Es fehlen nur die, die sie auch entschlossen umsetzen. Was Verlage brauchen, ist mehr Mut.

Mut, nicht Verzweiflung. 



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