Montag, 22. Juli 2013

Warum wir DLDWomen brauchen - Ein paar nachträgliche Gedanken zur Innovationskonferenz mit Frauen-Fokus

Anfang vergangener Woche fand in München zum vierten Mal DLDWomen statt - der Frauen und weibliche Perspektiven in den Fokus rückende Spross von Burdas DLD-Innovationskonferenz-Reigen. (Streng genommen ein Ableger der schon länger etablierten Digitalkonferenz DLD, inhaltlich aber eher eine notwendige Erweiterung. Aber dazu komme ich später.)



Das Programm wie die Speaker und Gäste haben gezeigt, dass wir weiter gekommen sind in den letzten paar Jahren. Der Anteil von Frauen in hochrangigen Positionen unter den Speakern ist seit Beginn spürbar  angestiegen, das ist zumindest mein Eindruck. Einige der Reaktionen auf die Konferenz haben dagegen gut gezeigt, warum wir sie brauchen. 
 
 Ja, "wir". Da der Schreiber dieser Zeilen ein Mann ist, schließt das Männer mit ein.

Spiegel-Online-Geschäftsführerin Katharina Borchert hat treffend auf die Kommentare unter einem Meedia-Artikel verwiesen.

Die ersten drei davon führen erschreckend gut das ganze Spektrum an negativen Reaktionen vor, wenn Frauen, ihr Vorankommen oder ihre Benachteiligung im Fokus stehen. Aggression, Indigniertheit, weil so ja Männer diskriminiert würden und casual sexism (man könnte Alltagssexismus sagen, aber dem Term casual wohnt das en-passant-hafte für mich besser inne).


Warum wir DLDWomen brauchen: 1. Wegen der Idioten


Beispielhaft ist schon gleich der erste Kommentarschreiber, dem beim Stichwort "High-Heels für Babies" erst der Kragen platzt, wo denn dann die Cowboystiefel für Männer seien und der dann mit seinen 7-Meilen-Indigniertheitsstiefeln zu G+J-Chefin Jäkel springt und vermeintlich schlechte Performance mit "Schuhe zu hoch?" verbindet. Passt zu Kommentaren rund um Jäkels Beförderung, bei der Sprüche in Richtung "Für die Stöckelschuhe ist der Job eine Nummer zu groß" fielen.

Oder der zweite Kommentar:
"Gibt es ein DLDmen? Wozu also diese Veranstaltung. Da hat Herr Burda aus seiner Privatschatulle wohl seiner Frau ein kleines Geschenk gemacht."

Man könnte kaum einen komprimierteren Mikrokosmos der Borniertheit schaffen. Der dritte Kommentar passt als Satellit dazu, vermutlich eingefangen von der massiven Masse an Blödheit.

"Die "twitter tussi" hat jetzt also ihre eigene Messe. Wow!"

Twitter-Tussi. Da treffen sich 60 hochkarätige Speaker und 600 Gäste. Politikerinnen, CEOs, hochrangiges Management, Wissenschaftler. Zu den Schirmherrinnen zählen eine EU-Kommissarin und eine Bundesministerin.

"Gibt es ein DLDMen?" Da ertönt wieder dieses Gejammer, dass man(n) ja diskriminiert würde. Als würde eine Veranstaltung für Frauen Männern etwas wegnehmen. 



Warum wir DLDWomen brauchen: 2. Weil die Zahlen so sind, wie sie sind


'Gibt es das auch für Männer?' Ja, faktisch zuhauf, das ist ja eines der Probleme. Schon mal auf einer "normalen" Digital-Konferenz gewesen? Die zählen zu den wenigen Orten auf der Welt, auf denen es Schlangen nur vor der Herrentoilette gibt.


(The Atlantic hat dazu einen schönen Photo-Essay parat.)

Es ist geradezu aberwitzig, da wegen einzelnen Veranstaltungen, die den Themen Raum geben, der im allgemeinen Ungleichgewicht fehlt, Männer benachteiligt zu sehen. Als würde uns jemand die DLD-Panels zu privatwirtschaftlichen Raketen- und Raumfahrtprogrammen wegnehmen, wenn sich anderswo Frauen darüber unterhalten, wie die Biologie sich auf die Persönlichkeit auswirkt. Oder als würden Frauen, die sich für Space X, Virgin Galactic & Co. auch interessieren, Männern die Raketen weggucken. Die werden weder kleiner noch entstehen Fehlstarts, nur weil Frauen im Publikum oder auf der Bühne sind.

Warum wir Veranstaltungen wie DLDWomen brauchen? Weil es diese reflexhaften Antihaltungen eben immer noch gibt. Das hat auch die Debatte rund um #Aufschrei gezeigt. Und das ist nicht nur Gerede. Das illustriert nur die Mentalität, die echte Blockaden und Hemmnisse erzeugt. Und dieses Problem hält nicht "nur" Frauen auf, es schadet uns allen. Wir brauchen Veranstaltungen wie DLDWomen, um das zu überwinden. Solange das, was sie zu sagen haben, im allgemeinen Dialog zu wenig Raum findet, braucht es eben weitere Räume.

Wir dürfen uns nicht darauf ausruhen, dass das nur einzelne Idioten wären. Auch wenn sich in den letzten Jahren schon einiges getan hat. Denn der Weg ist noch weit.

Rund 45 Prozent der arbeitenden Bevölkerung in der Bundesrepublik sind Frauen, ihr Anteil an Führungspositionen liegt aber höchstens bei einem Drittel. Und er nimmt deutlich ab, je mehr es in der Position zu entscheiden gibt. Bei DAX-30-Vorständen liegt der Frauenanteil bei 7,4 Prozent. In der europäischen Medienbranche bringen es Frauen in tatsächlichen Führungspositionen auf 16 Prozent

Daraus folgt nicht bloß, dass Frauen es in Sachen Karriere schwerer haben. Daraus folgt auch, dass wir alle wertvollen potenziellen Input verlieren. Und in der Digital-Branche sieht das nicht wirklich besser aus: Ganze 13 Prozent der Startup-Gründungen gehen auf Frauen zurück.

Gewiss, die Statistiken zeigen trotzdem einen erfreulichen Aufwärtstrend. Und den spürt man wie gesagt auch auf DLDWomen. Die weiblichen Stimmen aus Führungspositionen werden mehr.

Aber ein Selbstläufer ist es noch immer nicht, daher sind eigene Foren wichtig. Eigene Foren für Themen und Perspektiven, nicht für Frauen als solche. DLDWomen ist kein Closed Shop, in den Männer nicht rein dürfen. Aber zur Abwechslung sind es mal nicht sie, die die Agenda setzen. Das Resultat ist ein Programm, das noch bunter und gesellschaftsorientierter ist als bei der klassischen DLD. Und das ist wichtig. Natürlich kann man DLDWomen als Ableger von DLD sehen, eigentlich stellt es aber eine notwendige Erweiterung dar. Denn DLD steht für Digital - Life - Design - und gerade dem L tut das Programm von DLDWomen gut.



Warum wir DLDWomen brauchen - 3. Weil wir sonst kein vollständiges Bild sehen


Unser ganzes Leben wird digitaler, das ist zutreffend. Zum Leben gehört aber auch viel, das sich nicht direkt in businessbezogenen Nullen und Einsen ausdrücken lässt. Für ein runderes Gesamtbild braucht es diese Dinge aber.
  
Es geht nicht "bloß" darum, ob es ein Nachteil für Frauen ist, dass sie und ihre Themen bei Tech/Digital-/Innovationsveranstaltungen meist zu kurz kommen. Es geht auch darum, wie sehr das für uns alle einen Nachteil darstellt.

Das beginnt beim Thema Frauen in der Arbeitswelt: Gemischte Teams liefern im Allgemeinen mittel- und langfristig bessere Ergebnisse. (Kurzfristig mag das anders aussehen, weil homogene Gruppen schneller eine gemeinsame Linie finden können.) Es geht auch darum, Impulse und Ideen nicht zu verlieren. Ohne Amanda Rosenberg im Team hätte es beispielsweise gut passieren können, dass Google-Glass-Nutzer statt dem neutralen "OK Glass" als Startbefehl für das Brillen-Interface "Pew pew pew" hätten sagen müssen. Stellt euch mal vor, wie die Häme über Glass-Nutzer dann erst ausgefallen wäre.

Okay, jetzt mit etwas mehr Ernst: Es hilft - auch bei der Produktentwicklung - ein möglichst vollständiges Bild zu haben. Die Startschwierigkeiten bei Google+ etwa hatten viel damit zu tun, dass das Produkt super auf Mitglieder des Googleplex zugeschnitten war - aber nicht auf den breiteren Markt.

Das ist - auch vom wertvollen Potenzial an Arbeitskräften her betrachtet, die Unternehmen so händeringend suchen - beileibe kein Thema, das "nur" Frauen etwas angeht.

Das gleiche gilt für Dinge wie den Vortrag zu Social Freezing, also das Einfrieren von Eizellen, von Carl Djerassi. Was das auf einer Innovationskonferenz zu suchen hat? Denkt mal über den gesamtgesellschaftlichen Impact der Pille nach. Und dann darüber, wie es sich potenziell auswirken könnte, wenn berufstätige Frauen routinemäßig über das Einfrieren von Eizellen das gängige Fenster für Schwangerschaften verlassen könnten. Denn das hat nach wie vor karrieretechnisch auf die Mütter einen größeren Einfluss als auf die Väter. Das disruptive Potenzial dieser Technologie ist enorm, die größere Unabhängigkeit von der biologischen Uhr schlägt jede Smartwatch bei weitem. 

Es ist gut, dass es mit DLDWomen eine erweiterte Plattform gibt, um hierüber zu reden. Es ist auch gut, dass es Panels gibt, die sich mit Fashion, Marken, Liebe beschäftigen. Wen das nicht interessiert, der muss nicht hin. 

Was für Frauen und Männer gilt. Zum DLDWomen-Feedback gehörten auch Kommentare von Twitter-Nutzerinnen, die beim nächsten Mal weniger Fashion und mehr Digital sehen wollten. Weil nicht alle Frauen die gleichen Themen interessieren, genau wie bei Männern auch. (Ich etwa finde es immer wieder faszinierend, wenn Menschen davon ausgehen, dass ich mich für Fußball interessiere und bei dieser Haltung bleiben, selbst wenn ich ihnen sage, dass mir Fußball relativ schnuppe ist. Sprich: Sie glauben mir das schlicht nicht.)


Warum wir DLDWomen brauchen: 4. Weil Julia Jäkel und alle anderen das verdammte Recht haben, zu tun, was sie wollen


Man kann an Julia Jäkel gut illustrieren, warum wir DLDWomen brauchen und was einen wesentlichen Impuls der Veranstaltung darstellt. Die G+J-CEO sagte im Rahmen des Panels "Is Media Ruling Our Self-Perception", dass sie in ihren Entscheidungen weder eingeschränkt sein noch sich für sie rechtfertigen will, nur weil sie eine Frau ist. Und das ist ihr verdammtes Recht. 

Natürlich kann man Jäkels Arbeit kritisch würdigen, es gibt genug Stimmen, die gerade im Kontext der FTD-Schließung der Meinung waren, dass sie sich nicht mit Ruhm bekleckert hat. Aber das hat verdammt noch mal nichts damit zu tun, welche Schuhe sie trägt oder dass sie Brüste besitzt.

(Ähnlich kritisch ist übrigens auch die reflexhafte Zuschreibung zu sehen, dass die weibliche Führungskraft ja sicher einfühlsamer sei. Ohne Ansehen der konkreten Person stellt das schnell das Frauenpendant zum Edlen Wilden oder Magical Negro dar.)

Es sollte keine explizit auf Frauen fokussierten Events geben müssen, um derartiges klarzustellen. Es ist aber offenbar immer noch notwendig. Die Debatte um #Aufschrei hat das gut gezeigt und dafür sensibilisiert. Frauen werden verbal anders attackiert als Männer. (Ich könnte mich beispielsweise nicht erinnern, mal Artikelkommentare gesehen zu haben, in denen das Aussehen des Autoren negativ kommentiert wird, weil dem Leser die Haltung des Textes nicht passt. Bei Autorinnen passiert das durchaus.)

Ein DLDWomen ist daher schlüssig - gerade im Digitalumfeld. Nicht nur, weil es eine an und für sich junge Branche darstellt, in der viele klassische Hemmschwellen nicht in der Form existieren und das Spielfeld deutlich nivellierter ist als anderswo. Sondern weil auch hier darauf geachtet werden muss, nicht wieder falsche Strukturen zu schaffen. Und gerade das Tech-Umfeld ist kein besonders weibliches (Warteschlangen vor dem Klo, ihr erinnert euch?). Das liegt mit daran, dass Frauen nach wie vor nicht in ähnlichem Maße in dieses Feld und STEM-Fächer streben. Das heißt aber auch, dass man es denen, die dies wollen, nicht noch schwerer machen sollte.

Das Digitalumfeld der Konferenz ist zudem deshalb so passend, weil - wenn wir mal bei Klischees bleiben wollen - der (zumeist männliche) postmoderne Nerd eigentlich ein natürlicher Verbündeter dieser Frauen sein sollte, der sie klar unterstützt. Nein, nicht weil er offen zugibt, Frauen nicht zu verstehen. (Aber danke fürs Mitspielen.)  Auch nicht, weil er das Gefühl kennt, vor dem Klo Schlange stehen zu müssen.


Sondern weil die Grundhaltung die gleiche ist: Es als selbstverständlich ansehen, dass man so ist, wie man ist und nicht den geringsten Grund zu erkennen, sich dafür rechtfertigen zu müssen. ("Unapologetic" ist wieder so ein wunderschönes Wort, für das mir gerade ein griffiges deutsches Gegenstück entgleitet.) *

Das stellt auch eine der Diskurslinien zwischen Frauen in diesem Themenbereich dar. Gerade viele Thirtysomethings unter ihnen wollen sich von niemandem sagen lassen, wie sie zu sein haben. Weder von klassischen Rollenbildern noch von Alice Schwarzer.

Das ist ihr Recht und man sollte das überhaupt nicht explizit sagen müssen. Aber so lange das noch so ist, so lange brauchen wir Veranstaltungen wie DLDWomen. 


Ja, "wir".




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* Ja, dass das in der Realität leider teils anders aussieht und sich weibliche Nerds oft großen Schwachsinn gerade von ihren männlichen Pendants anhören müssen, ist mir bewusst.

3 Kommentare:

  1. Eigentlioch steht hier nur ein Punkt. Mehr braucht es nicht. Oder doch: teilen, bitte.

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  2. Das Schlimme ist doch, dass es scheinbar immer noch eine Begründung braucht.

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