Mittwoch, 11. Juli 2012

Wenn Werbeprofile schiefgehen – Mein Freemail-Dienst hält mich für einen Serienkiller


Die Daten, die jeder von uns so online hinterlässt, sagen einiges über uns aus. Eigentlich. Aus dieser Datenflut lässt sich durch Profilierung, Cookies, Targeting einiges herauslesen, Werbung aussteuern, für die wir genau im definierten Zielsegment liegen. Eigentlich.

Deshalb wurde ich stutzig, als ich im Logout-Bereich meines Freemail-Dienstes zufällig folgendes Werbemotiv sah: 

 
"Befriedigen Sie jetzt Ihre Lust auf fremde Haut"? Tschuldigung, was? Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber bei mir weckt das eher Assoziationen an Buffalo Bill als an Seitensprünge. Und damit meine ich nicht den skalpierenden Wildwest-Showman, sondern den Psycho aus Schweigen der Lämmer. Den, der Frauen die Haut abzieht, um sich eine Weste draus zu schneidern. 

Daraus folgt für mich die unangenehme Erkenntnis: Mein Freemaildienst-Vermarkter United Internet Media hält mich offenbar für einen Psychopathen, einen verkappten Serienkiller. Das kränkt irgendwie.

Denn für das entsprechende Werbeformat auf der Logout Lounge (großartiger sprachlicher Kunstgriff übrigens, um den Logout-Bereich aufzuwerten) bietet UIM durchaus auch seine Targeting-Lösung Target Group Planning an. Die steuert ihre Zielgruppen nach Premiumklassifizierung, Soziodemografie, Interessen, Lebensstil, Kaufverhalten und mehr an. Ich kann mich allerdings nicht entsinnen, beim Ausfüllen der Profilinformationen und Interessen versehentlich einen Haken hinter "Leute schlachten" gesetzt zu haben. Und trotzdem wird mir diese Psychopathen-Werbung angezeigt.

Insofern könnte man das nun achselzuckend als blödsinnigen Fehler abtun, wäre da nicht ein Haken: Bei TGP handelt es sich um Predictive Targeting. Vorhergesagtes, hochgerechnetes Verhalten. Gibt es also eine buchbaren Datensatz à la "Männlich, zwischen 25 und 35, psychopathische Tendenzen, wird irgendwann austicken"? (Dass ich mindestens eine Kollegin habe, die dieser Einschätzung zustimmen würde, tut nichts zur Sache.) Nicht, dass UIM am Ende mehr über mich weiß als ich und sich der Vermarkter als nächstes Geschäftsfeld bereits kriminalistisches Profiling erschließt.

Aber lässt sich Profilbildung so weit treiben, dass man sagen kann: "Wer weiß, welches Böse in den Herzen der Menschen lauert? Der Werbevermarkter weiß es!"?  Oder handelt es sich schlicht um einen Brazil-artigen Fehler, eine fatale Verwechslung, weil sich ein Festplattenkopf verschrieben hat? Dann bin ich völlig unschuldig Opfer falscher Profilierung und Werbeaussteuerung.

Das blöde daran wäre: Ich kenne keinen Heizungsinstallateur, der mich retten käme, wenn mich die Sicherheitsleute holen. (Obwohl, so gut hat das jetzt auch nicht funktioniert.) 

Dank ProSiebenSat.1 Digital weiß ich ja für alle Fälle schon, wie sich Zwangsjacken so tragen.


Es könnte sich aber auch ein bedächtigeres Konzept handeln: Am Ende führt das Werbemittel gar nicht zu einem echten Seitensprungportal, sondern stellt eine clevere Falle der BKA-Cyberspezialisten dar. Einen Honeypot für verkappte Psychopathen, die danach in kontrollierter Umgebung genau beobachtet werden. 


Das ist alles natürlich Unfug.

Die tatsächliche Antwort ist viel langweiliger. Das ist einfach ein grottenschlechter Copy-Text, den ich auch noch aus humoristischen Gründen falsch verstehen will. Und eine Billigplatzierung, bei der man sich dank performancebasierter Abrechnung nicht groß die Mühe gemacht hat, vernünftig auszusteuern. Der Grund, warum ich das sehe, ist aller Wahrscheinlichkeit nichts anderes als ein achelzuckendes "User ist männlich, zeigen wir ihm Online-Dating-Werbung an, passt schon". Wenn es überhaupt so weit geht – wiederholtes Reload-Klicken lieferte mir auch Partnerbörsen-Werbung für Frauen aus, die Werbung kann also auch völlig ungesteuert rausgefeuert worden sein.

Die anderen Formate auf der Seite stützen jedenfalls diesen Eindruck. Mein Interesse am Zillertaler Bergsommer, an Wanderwochen oder Autokrediten fällt jedenfalls ähnlich bescheiden aus wie an Online-Dating. 

Dieses ungesteuerte Rausfeuern ist allerdings schade, weil es die vielen Möglichkeiten des Targeting null nutzt, mir langweilige Werbung serviert (über die ich höchstens einen schwarzhumorig-satirischen Blog-Post schreiben kann, das war’s dann aber auch) und den Anbietern keine Klicks bringt. Restplatz-Verramsche statt gegenseitigem Mehrwert.

Aber die Frage an sich ist schon interessant: Was ließe sich denn aus vernünftig aufgebauten Profilen ableiten? Ich will hier keiner Vorratsdatenspeicherung das Wort reden, die Frage interessiert mich auf der abstrakten Ebene. Ließen sich über die Psychographie eines Nutzers belastbare Aussagen treffen, allein aus seinem Onlineverhalten? Was sagt unser Browserverlauf über unsere Persönlichkeit? In gewisser Weise ist das ja eine der Grundhypothesen der Targeting-Profile wie auch der Überlegungen von staatlichen Behörden, verstärktes Scanning von Social Media & Co. zu betreiben. Ich meine hier nicht die offensichtlichen Sachen, wie den Besuch einschlägiger Sites oder Foren, wie es bei Terroristen oder Amokläufern der Fall ist. Sondern wirklich den indirekten Weg, das, was sich aus Surf-Bewegungen ableiten lässt. Einiges vermutlich schon.

Lässt sich daher auf ein Fernszenario spekulieren, in dem sich potenzielle Straftaten am Verhalten im Netz vorhersagen lassen? Stürmt ein GSG-9-Team nach Minority-Report-Manier zehn Minuten später die Wohnung von jedem, der zufällig einen Link klickt? Auf besserer Grundlage als "Der hat gerade einen Online-Shooter gespielt" oder "Der hat allein heute Vormittag sieben Windows-Absturzmeldungen an Microsoft gesendet, der klinkt garantiert aus", versteht sich.

("Ich hab doch nur Würfel gekauft" stellt an dieser Stelle einen Witz dar, den vielleicht sechs Leute verstehen, aber ein bisschen Elitismus darf auch mal sein.)

Nein, auch das ist wieder Unfug. Dafür zeigt dieser Text aber schön die Gefahren auf, wenn man zu spät in der Nacht noch seine Mails checkt und dann auf Ideen für Satiren kommt. UIM trifft keine Schuld, versteht sich.

Naja. Ich schau jetzt mal nach, ob ich noch einen guten Chianti habe.

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