Mittwoch, 13. Juni 2012

Strategiespiel als Dystopie - Zehn Jahre Krieg und kein Ende von Civilization II

Die ferne Zukunft:
Die drei letzten Großmächte sind in einen nicht enden wollenden Krieg verwickelt, 90 Prozent der Weltbevölkerung tot. Was von der Erde übrig bleibt, ist verstrahlt, unfruchtbares Sumpfland oder Wüste.

Ein Mann kämpft um den Frieden, will die Welt retten. 
Er spielt das Computerspiel Civilization II. Seit zehn Jahren. 

Quelle: Imgur, User Lycerius
Und er braucht Hilfe. 

Nein, nicht weil er seit zehn Jahren das gleiche Computerspiel spielt. Das tut Lycerius (so der Username im Reddit-Posting, in dem er seine Geschichte erzählt) schließlich nicht durchgehend. Sondern weil sich die Situation in den letzten 1000 Jahren Spielzeit so festgefahren hat, dass er keinen Ausweg findet. Das Reddit-Posting dient als Hilferuf an die Vereinten Nationen der Reddit-Mitglieder. Sie sollen als Friedenscorps Ratschläge geben, wie er den ewigen Krieg beenden und die zerstörte Spielwelt wieder aufbauen kann.

Denn im legendären Strategiespiel hat er es geschafft, quasi eine verschärfte 1984-Simulation zu errichten: Die letzten drei Supermächte sind zwei Theokratien und ein kommunistisches Regime (der Spieler), die ihre diversen Wirtschaften voll auf den Krieg ausgerichtet haben: Alle Ingenieure bauen Straßen für die Truppenbewegungen, die im nächsten Zug wieder weggebombt werden. Was keine Zeit für Aufbauarbeiten oder die Reinigung verseuchten Bodens lässt.

Civilization II, für diejenigen, die es nicht kennen sollten, zählt laut IGN zu den 100 besten Videospielen aller Zeiten. Die Aufgabe des Spielers besteht darin, ein Volk durch die Jahrtausende zu führen, dessen Gesellschaft, Wirtschaft, Forschung und Städte aufzubauen und nach Möglichkeit zur beherrschenden, anders formuliert, einzigen Zivilisation auf der Erde zu werden. (Oder alternativ als erster ein Raumschiff auf Alpha Centauri zu bringen, aber machen wir die Dinge nicht unnötig kompliziert.)

Dafür läuft der militärisch-industrielle Komplex auf Hochtouren, wie Lycerius beschreibt:

There are so many units at once on the map that you could lose 20 tank units and not have your lines dented because you have a constant stream moving to the front. This also means that cities are not only tiny towns full of starving people, but that you can never improve the city. "So you want a granary so you can eat? Sorry; I have to build another tank instead. Maybe next time."  

Gelingt es den drei Supermächten tatsächlich einmal, Frieden zu schließen, wird er postwendend durch Angriffe sabotiert - meist nuklearer Natur.

Ein besonderes dystopisches Bonbon stellt Lycerius' Beschreibung dar, warum er ein kommunistisches Regime eingeführt hat:

I wanted to stay a democracy, but the Senate would always over-rule me when I wanted to declare war before the Vikings did. This would delay my attack and render my turn and often my plans useless. (...) Anyway, I was forced to do away with democracy roughly a thousand years ago because it was endangering my empire. But of course the people hate me now and every few years since then, there are massive guerrilla (late game barbarians) uprisings in the heart of my empire that I have to deal with which saps resources from the war effort.

Das Spannende daran ist die Stabilität, die dieses Horrorszenario in Civilization II erreicht hat. Ein Schachmatt der Kräfte, das aus dem Strategiespiel einen Dystopiesimulator gemacht hat, dessen Welt film- oder buchreif erscheint. Ein derartiges Eigenleben hat sich das Team vom Entwickler Microprose 1996 vermutlich nicht vorgestellt - denn da erschien der altehrwürdige Spieleklassiker. Mal davon abgesehen, dass moderne Titel keiner so lange spielen wird: was würde mancher Publisher dafür geben, so einen Zeitraum als Spieldauer angeben zu können?

Jetzt will Lycerius Frieden schließen und die Ingenieure endlich statt dem Bau von Kriegsstraßen Aufbauarbeit verrichten lassen. Er weiß nur nicht wie. Die Reddit-User jedenfalls haben schon einen eigenen Thread eingerichtet, um den Ewigen Krieg zu beenden. Crowdgesourctes Weltretten, sozusagen. Und einige scheinen auf einem guten Weg.

An Ratschlägen wie "ändere dein Regime zu Fundamentalismus und bombe die Gegner dann gleichzeitig weg" sollte sich die echte UN aber bitte kein Beispiel nehmen.


Gefunden via The Atlantic Wire, aber die britische Variante der Huffington Post hat auch nette Texte dazu.

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